Rezensionen und Besprechungen

Erben der Nazis
Die ARD beleuchtet die Geschichte des Auswärtigen Amtes
Berliner Zeitung, 18.1.2006

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Als Joschka Fischer zum Ende seiner Amtszeit eine kritische Diskussion über das historische Erbe des Auswärtigen Amts anregte, war die Empörung unter den Altgedienten im diplomatischen Corps groß. Aus Sicht der betroffenen Herren war das durchaus verständlich. Denn gerade in den ersten Jahren der Bundesrepublik wurde öffentlich vermieden, über den Lebenslauf der meisten Diplomaten zu reden, die ihre Karrieren im NS-Regime nach 1949 bruchlos fortgesetzt hatten. "Man kann doch ein Auswärtiges Amt nicht aufbauen, wenn man nicht wenigstens Leute an den leitenden Stellen hat, die etwas von der Geschichte von früher her verstehen", warb Konrad Adenauer für seine Personalpolitik. Ansonsten empfahl er "mit der Nazi-Riecherei Schluss zu machen".

 

 

An diese offizielle Lesart wollten sich schon damals nicht alle halten. Eine fünftteilige Artikelserie in der Frankfurter Rundschau, die 1951 die kompromittierenden Verbindungen vieler Diplomaten zum NS-Regime nachzeichnete, löste heftige Debatten aus, blieb aber folgenlos. Adenauer ließ sich auch von Bedenken eines Untersuchungsausschusses nicht beeindrucken und griff weiter auf "bewährte Kräfte" aus dem Ribbentrop-Ministerium zurück - auch wenn diese wie etwa Franz Nüsslein in Prag oder Werner von Bargen in Brüssel nicht nur Kenntnisse von den deutschen Verbrechen an Juden hatten. Mit Rücksicht auf mögliche internationale Einwände, wurden vorbelastete Kollegen im arabischen Raum und in Lateinamerika eingesetzt.

In "Hitlers Diplomaten in Bonn" zeichnen Heinrich Billstein und Mathias Haentjes dieses eher düstere Kapitel der Anfänge der jungen Republik nach. Auskünfte zum Thema geben ehemalige Botschafter und Gesandte wie Felix Gaerte oder Karl-Günther von Haase. Das Ergebnis fügt sich zu einem erhellenden Rückblick auf die Akteure westdeutscher Außenpolitik bis in die Kiesinger-Ära und zeigt, warum dieses Thema bis heute so kontrovers diskutiert wird. Warum das Erste für diesen sehenswerte Dokumentation nur einen Sendeplatz zur Geisterstunde fand, bleibt rätselhaft. Der kritische Umgang mit den Hinterlassenschaften der NS-Zeit scheint immer noch brisant zu sein.

Rainer Braun

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